Das einführende Zitat stellt eine zentrale Besonderheit von Performance dar. Der US-amerikanisch-mexikanische Autor und Performance-Künstler Guillermo Gómez-Peña zeigt hier die Verbindung zwischen Leben, Erfahrung und Performance auf, wie sie in der vorliegenden Arbeit verdeutlicht werden soll.
Durch das Studium transnationaler Räume[2] und vor allem durch die Untersuchung des Grenzraums zwischen Mexiko und USA beschäftige ich mich mit Identitäts- und Grenzdiskursen. Diese Diskurse spiegeln sich auf wissenschaftlicher Ebene unter anderem in der Kulturtheorie Néstor García Canclinis (Culturas Híbridas) wider und drücken sich in der ästhetischen Praxis der Performance-Kunst aus.
In diesem Zusammenhang ist die Identitätsbildung von KünstlerInnen in Lebensräumen, die von der Migration und deren sozialen, politischen und kulturellen Folgen in besonderem Maß bestimmt sind, relevant. Mit Blick auf die Performances von Gómez-Peña möchte ich in dieser Arbeit einerseits die historische Dimension von Performance-Kunst, andererseits die unterschiedlichen Strategien der Identitätsbildung und die kulturelle und politische Selbstbehauptung im Grenzraum erörtern.
Unter Rückgriff auf theoretische Debatten der Chicano/a Studies[3] soll gleichermaßen die Bedeutung von performativen Praktiken innerhalb der transkulturellen Beziehungen zwischen Mexiko und USA beleuchtet werden.
Der kubanische Anthropologe Fernando Ortiz, der bereits 1940 das Konzept der Transkulturation dem angelsächsischen Konzept der Akkulturation gegenüberstellte, ging davon aus, dass bei transkulturellen Prozessen die Möglichkeit neuer kultureller Ausdrucksformen gegeben sei. Durch den Autor und Kulturwissenschaftler Ángel Rama fand der Terminus Eingang in die Literatur- und Kulturtheorie.[4]
In den achtziger Jahren führte die kubanische Literatin Nancy Morejón den Gedanken der transculturación weiter und betont dabei das Entstehen einer ‚neuen, dritten Kultur’:
„[T]ransculturación significa interacción constante, trasmutación entre dos o más componentes culturales cuya finalidad inconsciente crea un tercer conjunto cultural.” (zit. in Sandoval-Sánchez 2001: 19)
Zunächst möchte ich anhand statistischer Zahlen die Bedeutung der Grenze und des Grenzraums zwischen Mexiko und USA und die entsprechenden Migrationsströme in Erinnerung rufen. La linea gilt weltweit als die am stärksten frequentierte Grenze, wobei die Übergänge bidirektional erfolgen und es jährlich um die 300 Millionen (legale) Grenzübertritte gibt (Valenzuela 2002: 62).[5]
Als Trennlinie zwischen Lateinamerika und den Vereinigten Staaten ist die Grenze gleichzeitig ein wirtschaftlicher, soziokultureller und politischer Demarkationspunkt. Die Geldüberweisungen der MigrantInnen, die so genannten remesas, bilden für die BewohnerInnen zahlreicher lateinamerikanischer Staaten ein wichtiges ökonomisches Rückgrat.[6]
Einen tragischen Charakter bekommt der Grenzraum angesichts der 3000 Toten (bis 2004), die beim Versuch der Grenzüberquerung seit Beginn der Operation Gatekeeper im Jahr 1994 allein auf kalifornischem Boden starben (Perez 2004: 82).
Die hier erwähnte wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Grenze schließt eine kultur- und literaturwissenschaftliche Perspektive auf den Grenzraum nicht aus, denn wie Canclini feststellt:
„[…]la antropología ya no puede reducirse al estudio de las culturas locales y homogénas, pero al ampliar la escala de análisis no dejan de preguntarse qué es ahora lo local, cómo se desterritorializan y también cómo se arraigan los grupos.” (Canclini 2003: 111)
Im selben Aufsatz beschreibt Canclini verschiedene imaginarios fronterizos[7], die in die jeweiligen US-amerikanischen und mexikanischen Kulturproduktionen einfließen und sich aus dem (konfliktreichen) Austausch beider Kulturen ergeben (ebd.: 113).
Wie sehen diese kulturellen Darstellungen nun im Einzelnen aus?
Eine mögliche Interpretationsquelle der imaginarios fronterizos ergibt sich aus der Performance-Kunst von Gómez-Peña. Die durch ihn geprägte „border art“ (Saldívar 1997: 152) wird zum Paradigma der soziokulturellen Verflechtungen im Grenzraum. In der zona fronteriza bzw. den borderlands treffen multiple Identitäten aufeinander und die Dichotomie Zentrum-Peripherie wird durch Grenzkünstler wie Gómez-Peña aufgehoben. Dieser Prozess ist keineswegs spannungsfrei und statisch, sondern erhält durch künstlerische Manifestationen eine eigene Dynamik.
Darüber hinaus zeigen die zahlreichen literarischen Projektionen auf den Grenzraum die Vielfältigkeit der imaginarios fronterizos und sind daher den statistischen Dimensionen der Grenze an die Seite zu stellen. So gibt Carlos Fuentes einem Erzählband den Titel La frontera cristal (1995).
Gómez-Peña spricht in dem Performance-Stück Border Brujo (1988) von der „infected, howling, flaming wound“, die der ‚Magier des Grenzraums’ als „hijo de la crisis fronteriza“ infolge eines „cultural cesarean“ bewohne[8] (1993: 78).
Gloria Anzaldúa, die Autorin des ‚Chicana-Klassikers’ Borderlands/La frontera (1987) entwirft gar die „New Mestiza“ als Bewohnerin des Grenzraums und beschreibt die Grenze als „1, 950 mile-long open wound.“[9] (1999: 24)
Der Medienkünstler Johannes Birringer bezeichnet Grenze - sei es im ‚konkreten, materiellen’ oder aber im ‚virtuellen, vorgestellten’ Sinn - als „existential metaphor for intermediary spaces of experience and practice.“ (1998: xvi)
In Kontrast zu den ‚harten Fakten’ der Grenzrealität eröffnet sich hier eine Bedeutungsverschiebung der geopolitischen Eigenschaft der Grenze zugunsten der kulturellen Phänomene und literarischen Verarbeitung der Erfahrungen im Grenzraum.
„Con la transformación de la noción de frontera rígida en frontera porosa y posteriormente en megalópolis transnacional y con la evolución de la noción de frontera literal a frontera aliteral y más tarde a la de terreno disputado, ha tenido lugar la consolidación de la noción de frontera centro, global y, más aún, icono.“ (Garduño 2003: 73)
Letztgenannte symbolische Konnotation von Grenze lässt sich in vielfacher Hinsicht erweitern und dabei mit (In-)Fragestellungen der Kategorien race, class und gender verbinden.
Um das weite Feld der Grenzthematik für die vorliegende Arbeit einzuschränken, lege ich den Fokus auf die kulturelle Produktion in den beiden Kaliforniens (Alta und Baja California).
Zunächst soll in einem ersten Kapitel der Begriff der Performance-Kunst definiert werden, um dann auf die Überquerung der Grenzen im Rahmen der Performances Border Brujo (1988-89) und The New World Border (1992-94) im Einzelnen einzugehen.[10] Ich benutze in dieser Arbeit in erster Linie die Textvorlagen der Performances Border Brujo aus dem Buch Warrior of Gringostroika (1993) und The New World Border aus der gleichnamigen Publikation (1996). Der Autor betont mehrfach, dass die Scripts der verschiedenen Veröffentlichungen in Magazinen, Büchern etc., teilweise bis zu fünfundzwanzig Mal variieren (GP 1996: 22). Daher muss von einem ‚provisorischen’ Charakter der Texte ausgegangen werden. Dem entspricht die technische und dramaturgische Improvisation als wichtiges Stilmittel der Performances. Den stets fragmentarischen Texten und Versatzstücken der Performances liegen Strategien der Identitätsbildung in transnationalen Räumen und sich daraus entwickelnde Transkulturationsprozesse zugrunde.
Ich untersuche die Performancestücke deshalb in den Kapiteln zwei und drei auf kulturtheoretische Implikationen und bringe diese mit Eigenschaften des Genres in Verbindung. In Kapitel vier möchte ich intermediale und performative Phänomene miteinander vergleichen, um der Pluralität von Medien im Werk von Gómez-Peña gerecht zu werden, bevor ich in Kapitel fünf schließlich aktuelle künstlerische Tendenzen am Beipiel der Grenzstadt Tijuana vorstelle.
Dabei bildet der Zusammenhang von performativen Praktiken und transkulturellen Prozessen im Grenzraum Mexiko-USA den Hintergrund meiner Analyse.
Wie der Kritiker Robert Neustadt richtig feststellt, wird man durch die künstlerische Arbeit Gómez-Peñas mit einer Reihe von logistischen Komplikationen konfrontiert (1999: 133). Das Augenmerk auf „(con)fusing signs“ (ebd.) zu richten, trägt Risiken mit sich. Anstelle einer formulierten eindeutigen Kritik können Probleme reproduziert werden, die in den Performances dargestellt werden, ohne sie jedoch zu überwinden. Das Schreiben über Performance gleicht daher der Unabgeschlossenheit und Vielstimmigkeit der Kunstform selbst.
Gerade aufgrund des stetigen Wandels...